Schon im April 2022 launchte REMONDIS Recycling sein eigenes Start-Up TextilTiger, das bei privaten Haushalten direkt und kostenlos Alttextilien abholt. Dies trifft einerseits den Nerv der Zeit, sich per Lieferdienst und Termin Dinge bringen und auch wieder abholen zu lassen. Es trifft aber auch den Punkt, dass das Thema Altkleider, also qualitative Post-Consumer Textilien, zukünftig stärker umkämpft sein wird und sich REMONDIS so einen zusätzlichen Urban Sourcing Kanal aufbaut. Wir haben bei Jan Mauch von TextilTiger nachgefragt, welche Ziele REMONDIS Recycling mit dem neuen Start-Up verfolgt, wie sie Lokalität definieren und auf welche Herausforderungen & Entwicklungen sie sich in den nächsten Jahren vorbereiten wollen.
Warum holt TextilTiger die Altkleider direkt an der Tür ab und hat kein Mengenlimit für die Abholung?
Die Qualität der klassischen Straßensammlung hat in den letzten Jahren stark nachgelassen und Hamburg hat letztes Jahr viele Altkleidercontainer abgebaut, da sie vermehrt für Müll verwendet worden sind. Den Bürgern blieben nur noch die karitativen Sammlungen oder der Recyclinghof, welche nicht bequem erreichbar waren. Da wollten wir ein Angebot machen, die Altkleider direkt an der Tür abzugeben, da es einen großen Bedarf gab. Tests haben gezeigt, dass die Qualität der Kleidung an der Haustür deutlich besser ist, als in den Containern. Obwohl wir auch kaputte und zerschlissenen Kleidung mitnehmen, ist die Übergabe von Mensch zu Mensch persönlicher und die Kleidung pro Tonne letztlich mehr wert. Wichtig ist hierbei aber zu erwähnen, dass wir an der Haustür nicht anfangen die Altkleider zu begutachten und aussortieren, sondern alle Altkleiderqualitäten mitnehmen.
Wir kommen sowohl für einen Altkleidersack vorbei, als auch für 100 Altkleidersäcke. Das liegt daran, dass wir für größere Mengen unsere Elektro-Transporter einsetzen können, die locker Mal 100 Säcke schaffen. Kleinere Mengen können wir optimaler weise mit unseren Cargobikes abholen.
Wie funktioniert die Abholung genau und wo sammelt ihr die Kleidung?
Auf unserer Website können sich unsere Kund:innen mit wenigen Klicks eine Abholung zu ihrem gewünschten Abholtag und Abholzeitfenster buchen. Dort kann zwischen einer Abholung an der Haustür oder der Abgabe der Altkleidersäcke vor der Haustür gewählt werden. Auf Wunsch holen wir die Altkleider auch z.B. vom Dachboden oder aus dem Keller. Die Altkleider werden dann durch unsere Fahrer auf den Elektro-Cargobikes oder Elektro-Transportern (je nach abzuholender Menge und Entfernung der Stops) nach dem Konzept der Last-Mile-Prinzep in einem unserer Micro-Hubs (dezentrale Umschlagsflächen) gesammelt. Die Micro-Hubs befinden sich verteilt im Hamburger Stadtgebiet. Dort haben wir mit dem deutschlandweit tätigen Parkflächen-Anbieter APCOA eine Partnerschaft abgeschlossen (APCOA Urban Hubs). Wenn sich die Micro-Hubs gefüllt haben, kommt ein größeres Fahrzeug von REMONDIS vorbei und sammelt gebündelt die Altkleider an den Micro-Hubs ein.
Und wo findet eure Endsortierung statt?
Die Altkleider werden dann in einem Container zur RE TEXTIL Deutschland GmbH nach Polch (nahe Koblenz) gebracht, wo unser Partner in der Verwertung und Recycling seinen Sortierstandort hat. Aktuell arbeiten wir daran im Norddeutschen Raum einen separaten Sortierstandort aufzubauen, um kürzere Transportwege zu ermöglichen – hierbei ist es vielleicht noch wichtig zu erwähnen, dass wir als Start-Up am Anfang erstmal auf die Infrastruktur von RE TEXTIL zurückgreifen. Uns ist bewusst, dass eine Altkleidersortierung in Polch vielen Leuten erstmal nicht lokal erscheint, aber dort sammeln wir derzeit wichtige Erfahrungswerte und haben die Effizienz Sachen gut und richtig zu sortieren. Langfristig wird in große Sortieranlagen investiert, die es nicht in jedem Bundesland geben wird, sondern wo ein lokaler Standort deutschlandweit definiert wird. Solche effizienten Sammelstandorte aufzubauen, ist schon in Planung.
Wie genau ist eure Beziehung bzw. Zusammengehörigkeit zu RE TEXTIL und REMONDIS Recycling?
Wir sind ein ausgegründetes sog. „Corporate Start-Up“ von der REMONDIS Gruppe. Heißt, wir haben im REMONDIS Innovation Hub, wo zukunftsträchtige und neuartige Geschäftsmodelle für die REMONDIS Gruppe entstehen, uns intensiv mit dem Altkleidermarkt beschäftigt und dort sehr großes (Verbesserung-)Potenzial in der Altkleiderrücknahme und -verwertung gesehen. Dort haben wir dann die Möglichkeit bekommen anhand eines iterativen Ansatzes mit A/B Testing einen ersten MVP zu bauen und den Bedarf in der Stadt Hamburg abzuklopfen. Nach einer erfolgreichen Pilotphase haben wir uns dann entschieden den Service professionell aufzubauen. Gleichzeitig gibt es eine interne Kooperation mit der Textilgesellschaft von REMONDIS namens RE TEXTIL. Wir kümmern uns quasi, um den ersten Kundenkontakt bis hin zum Transport zum Sortierstandort. Um die weiteren Schritte danach wie z.B. die Sortierung und die Erschließung von Wiederverwertungswegen, kümmert sich RE TEXTIL. Wir sind aber im ständigen Austausch, wenn es darum geht, das lokale Netzwerk in der Wiederverwertung mit auszubauen.
Werden Textilien über RE TEXTIL auch exportiert?
Leider gehört das zum derzeitigen Status Quo dazu. Das hat damit zu tun, dass in Vergangenheit sehr viel Fast-Fashion in Deutschland konsumiert wurde. Diese Altkleiderqualitäten würden wir gerne auch lokal wieder in den Textilkreislauf bringen, jedoch werden diese Qualitäten von den Second-Hand Shops nicht nachgefragt. Bevor wir diese Altkleiderqualitäten thermisch verwerten müssen, bringen wir diese lieber im Ausland zurück in den Textilkreislauf. Häufig ist schwer nachvollziehbar, was im Ausland mit den Altkleidern passiert. Zertifikate und Kontrollen helfen hier dubiose von seriösen Sortierern und Händlern zu unterscheiden, woran wir uns mit unseren eigenen Richtlinien zu verpflichtet haben. Wir arbeiten aktuell daran, schnellstmöglich mit unserem Service den Anteil der Altkleider, welcher im Ausland landet, auf ein Minimum reduzieren und weitere Transportwege kurz halten.
Wie finanziert ihr euch im Moment?
Wie gesagt, die Ware die wir an der Haustüre abholen, ist pro Tonne mehr wert als in der konventionellen Sammlung. Wir versuchen auch durch die Effizienz in der Sortierung, kosten einzusparen. Ein nächster geplanter Schritt ist allerdings auch das B2B Angebot auszubauen. Wir wollen beispielsweise Altenheimen, Haushaltsauflösern und auch kleineren Läden unseren Abholservice anbieten und das über eine Logistikpauschale abrechnen.
Welche Strategie verfolgt REMONIS mit TextilTiger?
REMONDIS bereitet sich mit TextilTiger auf die in der EU vorgeschriebene Getrenntsammlung von Alttextilien und Schuhen ab 2025 vor. Dann gilt in ganz Europa die EPR (erweiterte Herstellerverantwortung), die Hersteller und Inverkehrbringer von Produkten im europäischen Raum in die Verantwortung für die Rücknahme, den Transport sowie die Entsorgung oder Wiederaufbereitung dieser nimmt. Um diese Anforderungen zu erfüllen, sollen sich Unternehmen am Entsorgungsprozess beteiligen, um die Nutzung und das Recycling von gebrauchten Textilien zu maximieren.
Mit TextilTiger wollen wir unser Micro Hub Netzwerk ausbauen, unsere Software weiterentwickeln und bis 2025 eine Best Practice haben, die wir großen Textilherstellern als Service anbieten können. Wir können uns das als "Software as a Service" (SaaS) vorstellen. Bis dahin finanzieren wir uns mit quer mit dem B2B und B2C Ansatz und vor allen Dingen durch die Effizienz in der Sortierung.
Wir betrachten die Entwicklung und die gesetzlichen Rahmenbedingungen der nächsten Jahre als einen Prozess, an dem wir uns mit TextilTiger beteiligen wollen. Wir denken es ist nur gemeinsam Möglich nach guten Lösungen zu suchen und daher denken wir das die großen Abfallunternehmen wie REMONDIS und internationale Textilhersteller zusammen arbeiten müssen. Um bis 2030 den Recyclinganteil in Textilien maximal anzuheben, braucht es Akteure die gut sortieren können. Investitionen in Sortier- und Recyclinganlagen rechnen sich nur über die Menge, denn sie sind sehr kostenintensiv. Für uns ist ein lokaler Ansatz in eine bessere Sortierung in Europa zu investieren, der einen Shift von manueller Sortierung zu digitalen Sortieranlagen vorsieht.
Was bedeutet das für die karitative Sammlung? Wie könnte in den nächsten Jahren eine Zusammenarbeit mit Akteuren der Wiederverwendung in Deutschland aussehen?
Eine bessere Sortierung könnte auch den karitativen Sammlern und deutschen Seconhand Shops bzw. der Upcycling Szene zugute kommen. Bei einer besseren Sortierung könnten bedarfsgerecht Dinge absortiert werden, beispielsweise Jacken für Obdachlose oder Wollprodukte für Upcycling. Der Sammlungs- und Sortieraufwand ist riesig und eine logistische Herausforderung, der zukünftig nur durch Effizienz und neue Anlagen für eine bessere Sortierung begegnet werden kann.
Irgendwann wird sich das "design for recycling" für neue Produkte durchgesetzt haben, die logistische Herausforderung des Sammelns gemeistert sein, Europa Vorreiter in der Sortierung und im Recycling und die meisten Prozesse voll automatisiert sein. Hersteller bekommen dann die Materialien wieder, die sie in den Verkehr bringen und können daraus wieder neu produzieren. Es wird nicht mehr viel ins Ausland exportiert werden, besonders kein Müll.
Vielen Dank Jan, für die ausführlichen Infos.
Das Ziel der erweiterten Herstellerverantwortung ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Textilien sollen nach Gebrauch nicht als Abfall anfallen und entsorgt, sondern bestenfalls wiederverwendet, repariert, wiederaufbereitet oder mindestens recycelt werden. Hierfür stellen sich die großen Abfallunternehmen langsam um, probieren unterschiedliche Lösungsstrategien (wie REMONDIS mit TextilTiger oder die Soex mit I:CO) und arbeiten vermehrt gemeinsam mit großen Textilherstellern an Lösungen. Dies führt natürlich auch dazu, dass Alttextilien immer mehr umkämpft sind (Urban Sourcing).
Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass ein neues System die bereits existierenden Mechanismen der Wiederverwendung nicht beschädigen und die Wiederverwendung weiterhin Vorrang vor dem Recycling haben muss. Sonst ist Deutschland mit seiner langen Altkleidersammelhistorie kein Vorreiter der zirkularen Textilwirtschaft, sondern ein Testlabor großer Textilhersteller für eine verdrehte Abfallhierarchie, die Recycling vor alles andere stellt.
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