Ich bin absolut FÜR die Aufwertung des Secondhand Marktes und für eine Verlängerung der Produktverwendungsdauer. Also finde ich es gut, dass Secondhand gerade absolut im Trend ist. Schließlich habe ich mein Projekt dieses Jahr nicht zufällig angefangen und auch Unternehmen wie Zalando und About You treten nicht zufällig in dieses Segment ein, sondern weil es gerade angesagt ist. Aber Vorsicht, oft kann ein Trend auch nicht vorhergesehene Effekte mit sich bringen und diese müssen nicht immer nur positiv ausfallen. Die 'Gentrification of Thrifting' ist einer davon.
Was ist 'Gentrification Of Thrifting'?
'Der Prozess der Preiserhöhungen für Secondhand-Kleidung (und andere gebrauchte Gegenstände) in einem Sozialkaufhaus oder Gebrauchtwarenladen aufgrund des Zustroms wohlhabender Verbraucher.'
Gentrifizierung kennen wir zu genüge aus Berlin: die Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird.
Was bedeutet Thrifting:
Das Wort 'thrift' kommt aus dem Englischen und bedeutet Sparsamkeit. Wohltätige Secondhand Shops (bei uns Sozialkaufhäuser genannt), werden in den USA und UK als 'thrift stores' bezeichnet, da die meiste Ware die in den Läden verkauft wird, von wohlhabenden Leuten an die Läden in armen Communities gespendet wird. Mit wenig Geld können sich die Leute dort kaufen was sie brauchen UND sich dabei auch gute und schöne Sachen leisten.
'Thrifting' verwendet man als Verb um zu sagen, dass man in wohltätigen Secondhand Läden günstig einkauft hat. Die eingedeutschte Bedeutung des Wortes 'thriften' bedeutet '(sehr)günstig Seconhand gekauft'.
Was bedeutet jetzt 'Gentrification Of Thrifting'?
`Gentrification of Thrifting` hat drei Aspekte:
Aspekt 1: Gentrifizierung der Nachbarschaft
Durch die Aufwertung von Einkommensschwachen Nachbarschaften ziehen die Mieten und dadurch auch die Ladenmieten an. Das führt dazu, dass die Preise der Waren in einem Sozialkaufhaus (aka Thrift-Shop) steigen und sich die Geringverdiener die explizit für sie gespendeten, guten und schönen Dinge, nicht mehr leisten können. Diese werden jetzt von den neu Zugezogenen und besser Verdienenden aufgekauft, die die Preise der Waren aus den Thriftshops als extrem billig empfinden. Das heißt, die gespendeten Waren landen nun nicht mehr bei den Bedürftigen, sondern bei denen, die sich Waren eigentlich auch neu, nachhaltig produziert und fair leisten könnten wenn sie wollten.
Was für manche Leute eine Schnäppchensuche ist, ist für manch andere, das Einzige was man sich leisten kann. Das sollte man nicht vergessen.
Aspekt 2: Gentrifizierung des Thrift-Shoppings
'Thrift-Shopping' als neues Hobby. Nicht selten verabreden sich Freunde aus wohlhabenden Nachbarschaften um bei Einkaufstrips in den ärmeren Stadtteilen auf Schnäppchentour zu gehen. Was viele dabei vergessen, es gibt Menschen die z.B. auf modische und qualitativ-hochwertige Kleidung aus Sozialkaufhäusern und karitativen Läden angewiesen sind. Gerade diese werden aber von den Schnäppchensuchern mit dickeren Geldbeuteln weggekauft. Die steigende Nachfrage zieht oft in den einzelnen Läden die Preise hoch.
Aspekt 3: Die Arbitrage des Gebrauchten (=Ausnutzung von Kurs- oder Preisunterschieden an verschiedenen Börsen bzw. Märkten)
Manche sehen regelrecht eigene Verdienstmöglichkeiten.
Sie kaufen eine tolle Vintage Burberry Jacke für 39,- Euro im Sozialkaufhaus (auch wenn sie nicht passt, nur weil sie so günstig ist) und stellen sie auf einem Marktplatz ein. Auf Vestiarie Collective, Ebay oder anderen Plattformen erzielen sie so leicht das Vierfache. Oder sie gehen gezielt auf Einkaufstour für eigene Shops und Läden.
All das, mit einer Ware die mal jemand für bedürftige Geringverdiener gespendet hat.
Wo liegt das Dilemma?
Vornweg: Ich habe alle drei Aspekte schon gemacht! Bevor ich einen Artikel zur 'Gentrification Of Thrifting' gelesen habe, habe ich über mein Handeln aber nie kritisch nachgedacht. Jetzt schon.
Viele mit denen ich dieses Jahr gesprochen habe, verdienen ihr Geld durch die Arbitrage. Es sind nicht nur die kleinen Akteure, die Zufallskäufer und die Hipster, die die 'Genrification of Thriftig' vorantreiben. Die Arbitrage wurde auch von den Unternehmen, besonders den Sortierbetrieben schon lange entdeckt. Die kommerziellen Sortierbetriebe wie SOEX oder auch die vermeintlich karitativen wie TexAid, sortieren das, was modisch ist und Marke hat, aus. Über Wholeseller (Zwischenhändler) geht es in Secondhand & Vintage Boutiquen und riesige Secondhand Shops direkt in die teuersten Einkaufsstraßen der Stadt.
Das Dilemma liegt darin, dass man die 'Genrification of Thrifting' fast nicht mehr abwenden kann. Secondhand wird bei Kunden in höheren Einkommensschichten beliebter udn das ist gut, da man Kleidung länger trägt und ihr wieder einen höheren Wert zuspricht.
Allerdings für die, die eh schon wenig haben, verringert sich das Angebot und dadurch die Chance schöne, qualitative, modische und tragbare Kleidung im Sozialkaufkauf zu günstigen Preisen zu finden. Und auch im Ausland landet immer mehr Ware mit immer geringerer Qualität, bei Leuten, die auf diese Waren angewiesen sind.
Meiner Meinung nach sollte man sich persönlich nicht daran bereichern und nicht in Sozialkaufhäuser gehen um dort Dinge für den Wiederverkauf zu kaufen. Die neuen Marktplätze haben es uns einfach gemacht, uns selbst daran zu bereichern. Bei vielen Sozialkaufhäusern wird auch darauf hingewiesen, dass zwar nicht kontrolliert wird wer da einkauft, aber das das Angebot speziell für Leute mit geringem Einkommen gedacht sind.
Hätte die Spenderin des Burberry Mantels gewusst, dass dieser am Ende in Berlin Mitte von einer Managerin mit einem Monatsverdienst von über 4.000 Euro netto für 179 Euro gekauft würde, hätte sie vielleicht gerne ein Stück vom Kuchen gewollt, oder ihn persönlich in einem Frauenhaus für bedürftige Frauen abgegeben.
Wie seht ihr das? Versteht ihr mein Dilemma?
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